Achtsamkeit, Mindfulness und Meditation können eine Veränderung der Hirnstruktur – Neuroplastizität – bewirken und somit den Erwerb neuer sozialer Fähigkeiten ermöglichen – so die Ergebnisse einer neuen Studie des Forschungsteams um Tania Singer am Max Planck Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig: Achtsamkeit – weniger Stress und höhere Sozialkompetenz.
Das menschliche Gehirn ist in der Lage, sich im Lauf des Lebens neuen Gegebenheiten anzupassen und sich dauerhaft zu verändern. Bislang war unklar, ob diese Fähigkeit des Gehirns, die Neuroplastizität, sich auch auf diejenigen Bereiche des Gehirns erstreckt, die die sozialen Fähigkeiten des Menschen kontrollieren. Ein Forschungsteam um Tania Singer hat eine Trainings-Methode für soziale Fähigkeiten entwickelt und die Effekte dieses Trainings auf das Verhalten, den Hormonhaushalt und die Hirnstruktur von Testpersonen gemessen. Zwei wichtige Erkenntnisse wurden jüngst im Journal Science Advances veröffentlicht.
Im Rahmen der großangelegten ReSource Studie hat Tania Singer gemeinsam mit einem internationalen Expertenteam drei unterschiedliche 3‑monatige Trainingsprogramme entwickelt, jedes mit einem Fokus auf einen anderen Fähigkeitsbereich. Das erste Modul untersuchte Faktoren von Aufmerksamkeit (awareness) und Mindfulness. Die Probanden unternahmen selbständig klassische Meditationstechniken wie Atemübungen oder Konzentration auf verschiedene körperliche Gefühlsempfindungen. In der zweiten Gruppe trainierten die Teilnehmer in Zweiergruppen ihre Gefühle zu teilen, insbesondere Nähe, Dankbarkeit, Empathie und Stressabbau. Die Teilnehmer der dritten Gruppe trainierten ihre sozialen bzw. sozio-kognitiven Fähigkeiten, indem sie – ebenfalls in Zweiergruppen – versuchten, die gedanklichen Perspektiven der jeweils anderen Person einzunehmen. Diese Form der Arbeit basiert auf dem “Inner Family System” Modell von Richard Schwarz, das die Existenz mehrerer innerer Persönlichkeiten im Menschen annimmt.
Jede Meditationstechnik hat ihren eigenen Effekt auf die Neuroplastizität
Ein erstes – nicht verwunderliches – Ergebnis der Studie ist: Abhängig von der gewählten Methode des Mindfulness-Trainings ergaben sich unterschiedliche Effekte sowohl in der Hirnstruktur, als auch im Verhalten der Testpersonen. Die Teilnehmer der ersten Gruppe wiesen ein Wachstum des zerebralen Cortex in denjenigen Bereichen auf, die für Mindfulness verantwortlich sind. Gleichzeitig zeigten sie verbesserte Mindfulness-Leistungen in anschließend durchgeführten Computertests. Das Mitgefühl oder die Fähigkeit, sich in eine andere Person hineinzuversetzen, blieb bei dieser Gruppe jedoch unverändert. Zum gleichen Ergebnis kamen die Teilnehmer der anderen beiden Gruppen: Sowohl im Verhalten, als auch in der Hirnstruktur der Testpersonen ergaben sich in den jeweils trainierten Bereichen Veränderungen, in den jeweils nicht trainierten Bereichen jedoch nicht.
Insbesondere die Tatsache, dass ein Training sozialer Fähigkeiten zu entsprechenden Verhaltensänderungen und Neuroplastizität in den verantwortlichen Hirnregionen führt, ist laut Tania Singer eine starke Empfehlung für die Übernahme entsprechender Trainingsinhalte in den Bildungskanon.
Achtsamkeit – Weniger Stress und höhere Sozialkompetenz
Während die Teilnehmer der ersten Gruppe, die selbständig Meditationstechniken ausübten, nach der dreimonatigen Trainingsphase keine Veränderung in der Fähigkeit im Umgang mit Stress zeigten, zweigte sich bei den Teilnehmern der anderen beiden Gruppen ein anderes Bild: Teilnehmer beider Gruppen, die in Dyaden – also partnerschaftlich – gearbeitet hatten, wiesen deutlich reduzierte hormonale Stresslevel auf. Offensichtlich führte das regelmäßige Einlassen auf eine andere Person zu einem einfacheren Umgang mit sozialem Stress. Interessanterweise erklärten die Teilnehmer aller drei Gruppen nach Abschluss der Trainings, weniger Stress zu empfinden – also auch die Teilnehmer der ersten Gruppe, bei denen kein gesunkener Stresslevel auf der hormonalen Ebene nachgewiesen werden konnte, Dieser Befund verdeutlicht wieder einmal die Dualität wissenschaftlich gemessener Ergebnisse und subjektiver Empfindungen, die voneinander abweichen können.